Ausstellungen im Hans-Thoma-Kunstmuseum

Wenn wir auf den Hauptwegen unterwegs sind, versperren wir uns die Nebenwege, nehmen wir uns die Chance, Neues im Alten zu finden und Entdeckungen zu machen. Wir sollten uns nicht nur für Klee, Frida Kahlo oder Käthe Kollwitz interessieren, sondern zum Beispiel auch für Hans Brasch, den Meisterschüler von Hans Thoma. 1920 kam er in den Südschwarzwald, um selbst Entdeckungen zu machen. Brasch erschloss sich die unberührte Landschaft und die Fernsicht auf die Schweizer Alpen. Vor allem aber entdeckte er die Möglichkeiten, die ihm die Aquarellmalerei bot. In der Ausstellung im Hans-Thoma-Kunstmuseum, die auf dem Bernauer Brasch-Nachlass basiert, erleben wir einen Künstler, der die realistische Position Hans Thomas zugunsten einer freien Malerei aufgibt und auf einen lebendigen, impulsiven Malduktus setzt. Dabei kommt den Farben große Bedeutung zu. Formen und Farbwahl vermitteln uns ein genaues Bild des Künstlers und seiner Zeit: eine echte Entdeckung.
Dr. Jürgen Glocker
Laudatio Dr. Andreas Gabelmann
HANS BRASCH – Entdeckungen
Vernissage im Hans-Thoma-Kunstmuseum Bernau, 12. Februar 2023
„Er füllt einen Saal mit Aquarellen. In den Landschaften werden Wolkenstudien bevorzugt. Der siegreiche Durchbruch des Lichts wird in diesen Bildern zum Symbol für das Geistige. Das gibt auch seinen Bildnissen die bestimmte Note.“ Wer am 20. März 1929 das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ aufschlug, konnte diese Zeilen über die Ausstellung von Hans Brasch im Württembergischen Kunstverein lesen. Wer war dieser Maler, über den hier mit so hymnischen Worten berichtet wird? Wer war der Künstler, dessen Bilder offensichtlich durch die Kraft von Licht und Farbe so ausdrucksvoll auf seine Zeitgenossen wirkten? Wer war der Mensch, der im Jahr 1929 mit dieser Präsentation zum ersten Mal in seiner neuen Wahlheimat Stuttgart in Erscheinung trat?
Es gehört zu den Mysterien der Kunstgeschichte, weshalb ein Künstler bekannt und erfolgreich, ja vielleicht sogar berühmt wird, ein anderer hingegen weitgehend unbekannt bleibt und sein Werk nach dessen Tod bald in Vergessenheit gerät. Gewiss gibt es prägende Faktoren und definierte Kategorien, die das eine oder andere begünstigen oder hemmen. Gewiss ist jedoch auch, daß Ausdrucksstärke, Gestaltungswille und innere Überzeugung, daß eine klare Haltung, tiefe Empfindsamkeit und hohe Qualität des künstlerischen Schaffens den Lauf der Zeiten überdauern und irgendwann, gleichsam als logische Konsequenz, wieder entdeckt werden müssen.
Eine solche längst fällige Wiederentdeckung bietet die Ausstellung über den Maler und Zeichner Hans Brasch. Zu Lebzeiten eine geschätzte Künstlerpersönlichkeit mit zahlreichen Kontakten in die moderne Kunstszene in Frankfurt und Stuttgart und darin mit vielen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen präsent, gehörte Brasch zu den Vertretern einer expressionistischen Stilausprägung im deutschen Südwesten. Heute ist er, wenn überhaupt, nur noch einem kleinen Kreis von Kunstkennern ein Begriff.
1882 geboren zählte Hans Brasch zur fortschrittlich gesinnten Künstlergeneration, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einem neuen bildnerischen Ausdruck strebte, die eine veränderte Sicht auf die Welt hatte, deren Leben und Wirken aber durch zwei Weltkriege und die Zeit des Nationalsozialismus nicht zuletzt auch einschneidende Zäsuren erfahren hat, davon beeinflusst und behindert wurde. Und so spiegelt sein Werk zugleich die Auf- und Umbrüche in der Kunst des zurückliegenden Jahrhunderts.
Bevor wir uns den Bildern von Hans Brasch zuwenden lassen Sie mich Ihnen einen Überblick über seine Lebensstationen geben: Geboren in Karlsruhe, nimmt Hans Brasch nach einer Lehre im väterlichen Malerbetrieb 1898 das Studium an der Kunstgewerbeschule Karlsaruhe auf und setzt dies gegen den Willen des Vaters (der als Bühnenmaler am Karlsruher Theater tätig ist) ab 1900 an der Karlsruher Kunstakademie fort. Dort ist er von 1904 bis 1908 Schüler von Hans Thoma, zuletzt dessen Meisterschüler. Nach Studienreisen nach Paris und in die Schweiz, wo Brasch 1910 kurzzeitig Privatschüler von Ferdinand Hodler in Genf ist, lässt er sich 1913 in Frankfurt nieder, heiratet Emmy Brassert und zieht 1914 in den Ersten Weltkrieg. Nach Ende des Krieges unterhält er in Frankfurt eine Ateliergemeinschaft mit dem südbadischen Expressionisten August Babberger, den er in Karlsruher Studientagen kennengelernt hatte, und dem Maler Rudolf Gudden. 1924 kann Brasch in Frankfurt mit seiner ersten Einzelausstellung im renommierten Kunstsalon von Ludwig Schames Erfolge feiern. Bis 1930 soll die Metropole am Main der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des Malers sein. Einen Gegenpol zum Dasein in der Großstadt bildet ab 1920 der südliche Hochschwarzwald, wo Brasch ein Bauernhaus bei Urberg erwirbt und Mitstreiter in der Künstlersiedlung „Höll“ wird. In der Abgeschiedenheit der Höll und im Einklang mit der ursprünglichen Natur arbeitet und lebt Brasch in Nachbarschaft und im engen Austausch mit den ebenfalls aus Frankfurt kommenden Künstlerkollegen Babberger, Gudden und Robert Hoffmann.
In Frankfurt avanciert Brasch während der 20er Jahre zum Teil der modern ausgerichteten Kunstszene und tritt als ausdrucksstarker Porträt- und Landschaftsmaler sowie figürlicher Wandbildgestalter in Erscheinung. Insbesondere auf dem Gebiet der Bildnismalerei zählt er zu den gefragtesten Künstlern mit Aufträgen, die ihn über die Grenzen von Stadt und Region bekannt machen. So porträtiert Brasch beispielsweise 1925 den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz (Prof. an Uni Heidelberg) und 1929 den bedeutenden Physiologen Wilhelm Trendelenburg (Rektor der Uni Tübingen). Im Verlauf der 20er Jahre entwirft er außerdem mehrere Wandbilder für private und öffentliche Bauten, von denen heute noch die 1926 ausgeführte Ausmalung der Wartehalle des Bahnhofs von Bad Orb im Spessart sowie die Gestaltung des Treppenhauses in der Papierfabrik Scheufelen in Lenningen erhalten sind.
Seit den 20er Jahren unternimmt Brasch zahlreiche Reisen, bevorzugt in die Alpen und ins Tessin. Gleichfalls in dieser Zeit schließt er sich der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner an. Der Umzug von Frankfurt nach Stuttgart 1930 kann auch in diesem Zusammenhang gesehen werden, denn Brasch wollte seinen beiden Kindern in Stuttgart den Besuch der ersten Waldorfschule Deutschlands ermöglichen. In der württembergischen Landeshauptstadt ist Brasch bis 1933 im Kreis der Stuttgarter Sezession tätig und beteiligt sich an deren Ausstellungen im Württembergischen Kunstverein. Nach 1933 fallen seine Bilder unter das Verdikt „entartete“ Kunst und 1937 beschlagnahmen die NS-Machthaber einige seiner Werke im Frankfurter Städel-Museum. Aufgrund seines Alters wird Brasch nicht zur Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eingezogen.
Nach dem Krieg ist er von 1947-48 als Vorsitzender des „Verbandes Bildender Künstler Württemberg“ aktiv, seit 1949 bleibt er dem Württembergischen Kunstverein in Stuttgart als Mitglied des Verwaltungsrates verbunden. Die letzten Lebensjahre verbringt Hans Brasch in einem anthroposophischen Seniorenheim in Murrhardt bei Stuttgart, wo er 1973 im Alter von 91 Jahren stirbt.
Unter dem treffenden Titel „Entdeckungen“ versammelt die Ausstellung rund 40 Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 1900 und 1966, darunter Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik. Die Präsentation vermittelt damit einen Überblick über das reichhaltige Schaffen von den frühesten Anfängen bis ins Spätwerk. Die Mehrzahl der Exponate sind Aquarelle, womit der Schwerpunkt in Braschs Wirken dokumentiert ist. Bereichert und komplettiert wird die Auswahl der Bilder von persönlichen Dokumenten wie Briefe und Fotografien
Die Exponate stammen hauptsächlich aus dem Nachlass von Hans Brasch, der von der Nachlaßverwalterin Inge Waldschmidt dem Hans Thoma Kunstmuseum übergeben wurde (wir hören dazu später noch mehr). Aus diesem Fundus von mehreren hundert Arbeiten konnte die Kuratorin Margret Köpfer ihre Auswahl schöpfen.
Im Schwarzwald, speziell in Bernau und in der Region ist Hans Brasch kein Unbekannter. Schon zu Lebzeiten suchte er die Nähe zur Natur des südlichen Hochschwarzwaldes, lebte von 1920 bis in die späten 30er Jahre in seinem Haus bei Urberg. In jüngster Zeit erinnerten zwei Ausstellungen in der Umgebung an den Maler: 2017 zeigte das Kreismuseum St. Blasien eine Einzelausstellung mit frühen Arbeiten, 2018 rückte die Ausstellung über August Babberger und die Künstlersiedlung „Höll“ hier im Haus den Namen Hans Brasch in den Kontext dieser lebensreformerischen Künstlergemeinschaft.
In größere kunstgeschichtliche Zusammenhänge ordnete 2016 die umfangreiche Ausstellung „Kommen und Gehen, Von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch in Frankfurt Braschs Schaffen in die Entwicklungen der Moderne im Rhein-Main-Gebiet ein (in dieser großen Schau war auch Hans Thoma vertreten). Einige wenige Werke von Hans Brasch sind heute in Museen wie dem Städel in Frankfurt, der Karlsruher Kunsthalle und der Kunsthalle Mannheim vertreten. 2007 widmete sich eine (unveröffentlichte) kunstwissenschaftliche Magisterarbeit an der Freien Universität Berlin dem Leben und Werk des Künstlers. Ansonsten aber ist über Brasch in der allgemeinen Literatur wenig zu erfahren und er gehört noch immer und – wie ich meine – zu Unrecht zu den fast vergessenen Malern der frühen Moderne im deutschen Südwesten.
Blicken wir in die Ausstellung, so begegnet uns ein Künstler, für den die Beschäftigung mit Mensch und Natur im Mittelpunkt steht. Porträts und Landschaftsdarstellungen bestimmen die thematische Ausrichtung seiner Bildschöpfungen. Die Anfänge von der Karlsruher Studienzeit bis zum Ersten Weltkrieg stehen ganz im Zeichen seiner Ausbildung bei Hans Thoma und der Einflüsse von Ferdinand Hodler. In sorgsam ausgeführten Radierungen wie etwa dem Porträt seines Vaters von 1900 oder seinem Selbstbildnis von 1904, sowie in Zeichnungen und ersten Gemälden prägt eine dem Naturalismus und Realismus der Jahrhundertwende verpflichtete Bildsprache den traditionsverhafteten Ausdruck der Werke. Von Hodler, der in der Zeit um 1910 zu den einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten zählt und der für viele Maler der jungen Generation wichtige Impulse liefert, empfängt Brasch Anregungen zur flächigen Formvereinfachung und zur Intensivierung der Farben, was sich exemplarisch noch im Bildnis seines Sohnes Peter von 1920 zeigt.
Nach dem Krieg ist eine Neuorientierung zu beobachten: die Hinwendung zu einem freieren Ausdruck mit leuchtenden Farbkontrasten, dynamisch rhythmisierten Formen und einem energischen Pinselduktus, kennzeichnet die Loslösung vom Einflussbereichs Thomas und den weiteren Verlauf von Braschs Stilentwicklung.
In seinen Bildnissen und Landschaften reift er nun zu einem zeittypischen Vertreter des Spätexpressionismus der Nachkriegsjahre in einer insgesamt abgemilderten Ausprägung. Das Eruptive, Heftige, Zerrissene des klassischen Expressionismus, wie wir es etwa von den Künstlern der „Brücke“ kennen, ist nicht seine Sache – Brasch pflegt stattdessen eine vergleichsweise harmonisch gestimmte Sichtweise auf die Dinge mit fließenden Formabwandlungen, klaren Farben, fest umrissenen Konturen.
Und doch spricht aus Selbstbildnissen, wie etwa dem Aquarell von 1927 (=Einladungskarte) eine Tendenz zur expressiven Psychologisierung, zu einem Blick in die Seele, was generell Braschs Porträtschilderungen der 20er Jahre prägt: durch Haltung, Gestik, Farbgebung und Formensprache betont Brasch den emotionalen Ausdruck der Personen, bei denen es sich um Freunde und Bekannte sowie um Auftragsarbeiten aus der Frankfurter Gesellschaft handelt.
Das zweite große Aufgabenfeld, das - neben Aufträgen für Wandbilder - immer mehr sein Schaffen bestimmen soll, sind die Landschaften, die Brasch im Südschwarzwald, in den Alpen, am Bodensee, in Südtirol und im Tessin einfängt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Eigenheiten der jeweiligen Naturgegenden prägt den besonderen Ausdruck seiner Landschaftsbilder. Und so atmen die Werke eine Betonung des Atmosphärischen, der stimmungsvollen Wirkungen von Licht und Luft, von Wetter, Wind und Wolken auf das Erscheinungsbild der Natur. Fasziniert zeigt sich Brasch von ursprünglichen, rauen und einsamen Landschaften, in denen die Kräfte der Natur, das Elementare spürbar werden. Für die gesteigerte Umsetzung nutzt er nun vermehrt die Ausdrucksmittel der Aquarellmalerei, die spätestens ab 1930 sein Schaffen kennzeichnet.
„Die herbe, starke und große Natur dieser Gegend, die ich nun in der folgenden Zeit immer wieder malerisch verarbeitete, war von entscheidendem Einfluss auf meine ganze weitere Entwicklung. Der Versuch, die ganze Reichheit der Stimmungen und der Atmosphäre wiederzugeben, führte mich zur Aquarellmalerei, da diese hierfür die größeren Möglichkeiten bietet.“ Mit diesen Worten erklärt Brasch seine Begeisterung für den Hochschwarzwald und zugleich seine Vorliebe für das Aquarell.
Denn mehr als in der schweren und pastosen Ölmalerei auf Leinwand findet Brasch in der leichtgängigen Malerei mit wassergelösten Farben auf Papier die ideale Entsprechung für sein intensives Naturgefühl.
Im Laufe der Jahre entwickelt Brasch einen souveränen Umgang mit Pinsel und Wasserfarben in verschiedenen Techniken auf unterschiedlichen Papieren, häufig auf filigranes Japanpapier. Virtuos experimentiert er mit der sog. Nass-in-Nass-Technik mit raschen Pinselzügen auf angefeuchtetes Papier, wodurch diffuse, nuancenreich ineinandergreifende Farbverläufe bei gleichzeitig transparenten Tiefenschichten des Bildraums entstehen. Oder er agiert mit eher trockenem Farbauftrag in klaren, festen Flächenzonen, wobei gerne freigelassene Stellen des Papiers als helle Partien mitwirken. In großer Fülle und Vielfalt spielt Brasch die mannigfachen Möglichkeiten des Aquarells bis ins hohe Alter in immer neuen Bildvarianten durch. Auch wenn viele Blätter wie zufällige Momentaufnahmen wirken, sind sie doch das Ergebnis eines wohlüberlegten Bildaufbaus und einer bewussten Regie von Blickpunkt und Bildausschnitt.
Schauen wir auf die Bernauer Region, so zeigt sich, daß vor allem im Zirkel der Künstlersiedlung „Höll“, im gemeinsamen Leben und künstlerischen Arbeiten in und mit der Natur Braschs ganzheitliche Geisteshaltung und sein leidenschaftliches Lebensgefühl reiche Nahrung fanden. In zahlreichen Arbeiten erkundet er die einzigartigen Wirkungen dieser Landschaft mit ihren engen Talwinkeln und dunklen Wäldern, ihren weiten Wiesenflächen und fernen Ausblicken vom Dachsberg auf die Alpen, ihrem besonderen Licht, ihrer klaren Luft, ihren raschen Wetterwechseln.
In den Bergen in Österreich, in der Zentralschweiz und in den Dolomiten betonen seine Darstellungen die Erhabenheit und Monumentalität der alpinen Natur. Aus den Aquarellen spricht eine starke Faszination für die gewaltigen Urkräfte, die dieser Natur innewohnen, und die Brasch für den Betrachter unmittelbar erlebbar machen will. Stille und Weite, Ruhe und Kontemplation, hingegen sind in den Seelandschaften akzentuiert: mit der gezielten Steigerung des Lichts im Wechselspiel mit Wasserspiegelungen und Wolkenhimmeln erscheinen Eindrücke vom Bodensee, vom Thuner See oder vom Lago Maggiore.
Anklänge an anthroposophisches Gedankengut sind in den Landschaften spürbar, die von einer außerordentlichen, fast übernatürlichen Lichtaura erfüllt sind, wie beispielsweise das undatierte Aquarell „Lago Maggiore“. Nach den Vorstellungen der Anthroposophie sollen in der Natur verborgene schöpferische Kräfte sichtbar gemacht werden. Das Sinnliche soll sich mit dem Übersinnlichen verbinden und Bilder wollen das Geistige, Spirituelle und Mystische transportieren. Nicht wenige von Braschs Landschaftsdarstellungen können als persönliche Interpretation dieser Gedankenwelt verstanden werden.
In den Naturschilderungen der späten Werkphase der 40er bis 60er Jahre schwächt sich das expressionistische Formen- und Farbrepertoire merklich ab und gibt einer realitätsnahen Motivauffassung Raum, die auf den Ausdruck des Großartigen in der Welt der Berge und Seen abzielt. Sorgfältig komponierte und präzise ausgeführte Aquarelle wie „Hochgebirge“ von 1941, „Berglandschaft mit Schnee“ von 1955 oder „Gewitterwolken“ von 1966 (das späteste Bilder der Ausstellung!) erkunden die Eigengesetzlichkeiten der schroffen Natur, ihre Topographie, Geologie und Tektonik, und erzählen zugleich von ihrer Schönheit und Zeitlosigkeit. Mit sicherem Gespür wählt Brasch seine Bildausschnitte, oft wie durch ein Fernglas oder Teleobjektiv gesehen, und rückt das hochalpine Naturgeschehen im Wechsel der Jahres- und Tageszeiten mit seiner ganzen Dramatik und Vielfalt ins Blickfeld.
Das Werk von Hans Brasch entfaltet sich im weiten Spannungsfeld zwischen Einfühlung und Expression. Sensible Porträts, kraftvolle Figurenbilder und ebenso stimmungsvolle wie ausdrucksgeladene Landschaften zwischen Formauflösung und Formverdichtung prägen das Spektrum seines künstlerischen Schaffens. Es ist vor allem die Farbe, die für Brasch zum wichtigsten Ausdrucksträger avanciert. Mit viel Gefühl und großer Leidenschaft lotet er in seinen Bildschöpfungen die Möglichkeiten der Farbmodulationen aus und findet dafür in der Technik des Aquarells eine ideale Entsprechung.
Auffällig ist beim Blick auf das Gesamtwerk die Ausblendung von politischen oder gesellschaftskritischen Themen, die gerade in der Zwischenkriegszeit viele Kunstschaffende seiner Generation bewegten. Für Hans Brasch galt die Einfühlung in die Natur als wichtigster und entscheidender Impuls für seine Kunst.
In seinen Aquarellen findet Brasch zu einer Meisterschaft, in der sich Farbe, Licht und Raum durchdringen. Die Blätter changieren zwischen kraftvoller Expressivität und sensibler Innerlichkeit. Am stärksten in den Landschaften gelingt Brasch das Einfangen von atmosphärischen Zuständen, von Nebel, Dunst, Sonnenstrahlen, warmer oder eisiger Luft, Wasserreflexen, Wolkenschleiern. Deutlich wird die sinnliche Intensität, mit der Brasch die Natur erlebte und für den Betrachter erfahrbar macht.
Leben und Werk von Hans Brasch sind ein eigenes, fast vergessenes Kapitel südwestdeutscher Kunstgeschichte zwischen Tradition und Moderne. Die Ausstellung bietet die Gelegenheit zur Wiederentdeckung!
© Dr. Andreas Gabelmann
HANS BRASCH – Entdeckungen
Vernissage im Hans-Thoma-Kunstmuseum Bernau, 12. Februar 2023
„Er füllt einen Saal mit Aquarellen. In den Landschaften werden Wolkenstudien bevorzugt. Der siegreiche Durchbruch des Lichts wird in diesen Bildern zum Symbol für das Geistige. Das gibt auch seinen Bildnissen die bestimmte Note.“ Wer am 20. März 1929 das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ aufschlug, konnte diese Zeilen über die Ausstellung von Hans Brasch im Württembergischen Kunstverein lesen. Wer war dieser Maler, über den hier mit so hymnischen Worten berichtet wird? Wer war der Künstler, dessen Bilder offensichtlich durch die Kraft von Licht und Farbe so ausdrucksvoll auf seine Zeitgenossen wirkten? Wer war der Mensch, der im Jahr 1929 mit dieser Präsentation zum ersten Mal in seiner neuen Wahlheimat Stuttgart in Erscheinung trat?
Es gehört zu den Mysterien der Kunstgeschichte, weshalb ein Künstler bekannt und erfolgreich, ja vielleicht sogar berühmt wird, ein anderer hingegen weitgehend unbekannt bleibt und sein Werk nach dessen Tod bald in Vergessenheit gerät. Gewiss gibt es prägende Faktoren und definierte Kategorien, die das eine oder andere begünstigen oder hemmen. Gewiss ist jedoch auch, daß Ausdrucksstärke, Gestaltungswille und innere Überzeugung, daß eine klare Haltung, tiefe Empfindsamkeit und hohe Qualität des künstlerischen Schaffens den Lauf der Zeiten überdauern und irgendwann, gleichsam als logische Konsequenz, wieder entdeckt werden müssen.
Eine solche längst fällige Wiederentdeckung bietet die Ausstellung über den Maler und Zeichner Hans Brasch. Zu Lebzeiten eine geschätzte Künstlerpersönlichkeit mit zahlreichen Kontakten in die moderne Kunstszene in Frankfurt und Stuttgart und darin mit vielen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen präsent, gehörte Brasch zu den Vertretern einer expressionistischen Stilausprägung im deutschen Südwesten. Heute ist er, wenn überhaupt, nur noch einem kleinen Kreis von Kunstkennern ein Begriff.
1882 geboren zählte Hans Brasch zur fortschrittlich gesinnten Künstlergeneration, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einem neuen bildnerischen Ausdruck strebte, die eine veränderte Sicht auf die Welt hatte, deren Leben und Wirken aber durch zwei Weltkriege und die Zeit des Nationalsozialismus nicht zuletzt auch einschneidende Zäsuren erfahren hat, davon beeinflusst und behindert wurde. Und so spiegelt sein Werk zugleich die Auf- und Umbrüche in der Kunst des zurückliegenden Jahrhunderts.
Bevor wir uns den Bildern von Hans Brasch zuwenden lassen Sie mich Ihnen einen Überblick über seine Lebensstationen geben: Geboren in Karlsruhe, nimmt Hans Brasch nach einer Lehre im väterlichen Malerbetrieb 1898 das Studium an der Kunstgewerbeschule Karlsaruhe auf und setzt dies gegen den Willen des Vaters (der als Bühnenmaler am Karlsruher Theater tätig ist) ab 1900 an der Karlsruher Kunstakademie fort. Dort ist er von 1904 bis 1908 Schüler von Hans Thoma, zuletzt dessen Meisterschüler. Nach Studienreisen nach Paris und in die Schweiz, wo Brasch 1910 kurzzeitig Privatschüler von Ferdinand Hodler in Genf ist, lässt er sich 1913 in Frankfurt nieder, heiratet Emmy Brassert und zieht 1914 in den Ersten Weltkrieg. Nach Ende des Krieges unterhält er in Frankfurt eine Ateliergemeinschaft mit dem südbadischen Expressionisten August Babberger, den er in Karlsruher Studientagen kennengelernt hatte, und dem Maler Rudolf Gudden. 1924 kann Brasch in Frankfurt mit seiner ersten Einzelausstellung im renommierten Kunstsalon von Ludwig Schames Erfolge feiern. Bis 1930 soll die Metropole am Main der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des Malers sein. Einen Gegenpol zum Dasein in der Großstadt bildet ab 1920 der südliche Hochschwarzwald, wo Brasch ein Bauernhaus bei Urberg erwirbt und Mitstreiter in der Künstlersiedlung „Höll“ wird. In der Abgeschiedenheit der Höll und im Einklang mit der ursprünglichen Natur arbeitet und lebt Brasch in Nachbarschaft und im engen Austausch mit den ebenfalls aus Frankfurt kommenden Künstlerkollegen Babberger, Gudden und Robert Hoffmann.
In Frankfurt avanciert Brasch während der 20er Jahre zum Teil der modern ausgerichteten Kunstszene und tritt als ausdrucksstarker Porträt- und Landschaftsmaler sowie figürlicher Wandbildgestalter in Erscheinung. Insbesondere auf dem Gebiet der Bildnismalerei zählt er zu den gefragtesten Künstlern mit Aufträgen, die ihn über die Grenzen von Stadt und Region bekannt machen. So porträtiert Brasch beispielsweise 1925 den deutschen Staatsrechtler Gerhard Anschütz (Prof. an Uni Heidelberg) und 1929 den bedeutenden Physiologen Wilhelm Trendelenburg (Rektor der Uni Tübingen). Im Verlauf der 20er Jahre entwirft er außerdem mehrere Wandbilder für private und öffentliche Bauten, von denen heute noch die 1926 ausgeführte Ausmalung der Wartehalle des Bahnhofs von Bad Orb im Spessart sowie die Gestaltung des Treppenhauses in der Papierfabrik Scheufelen in Lenningen erhalten sind.
Seit den 20er Jahren unternimmt Brasch zahlreiche Reisen, bevorzugt in die Alpen und ins Tessin. Gleichfalls in dieser Zeit schließt er sich der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner an. Der Umzug von Frankfurt nach Stuttgart 1930 kann auch in diesem Zusammenhang gesehen werden, denn Brasch wollte seinen beiden Kindern in Stuttgart den Besuch der ersten Waldorfschule Deutschlands ermöglichen. In der württembergischen Landeshauptstadt ist Brasch bis 1933 im Kreis der Stuttgarter Sezession tätig und beteiligt sich an deren Ausstellungen im Württembergischen Kunstverein. Nach 1933 fallen seine Bilder unter das Verdikt „entartete“ Kunst und 1937 beschlagnahmen die NS-Machthaber einige seiner Werke im Frankfurter Städel-Museum. Aufgrund seines Alters wird Brasch nicht zur Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eingezogen.
Nach dem Krieg ist er von 1947-48 als Vorsitzender des „Verbandes Bildender Künstler Württemberg“ aktiv, seit 1949 bleibt er dem Württembergischen Kunstverein in Stuttgart als Mitglied des Verwaltungsrates verbunden. Die letzten Lebensjahre verbringt Hans Brasch in einem anthroposophischen Seniorenheim in Murrhardt bei Stuttgart, wo er 1973 im Alter von 91 Jahren stirbt.
Unter dem treffenden Titel „Entdeckungen“ versammelt die Ausstellung rund 40 Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 1900 und 1966, darunter Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik. Die Präsentation vermittelt damit einen Überblick über das reichhaltige Schaffen von den frühesten Anfängen bis ins Spätwerk. Die Mehrzahl der Exponate sind Aquarelle, womit der Schwerpunkt in Braschs Wirken dokumentiert ist. Bereichert und komplettiert wird die Auswahl der Bilder von persönlichen Dokumenten wie Briefe und Fotografien
Die Exponate stammen hauptsächlich aus dem Nachlass von Hans Brasch, der von der Nachlaßverwalterin Inge Waldschmidt dem Hans Thoma Kunstmuseum übergeben wurde (wir hören dazu später noch mehr). Aus diesem Fundus von mehreren hundert Arbeiten konnte die Kuratorin Margret Köpfer ihre Auswahl schöpfen.
Im Schwarzwald, speziell in Bernau und in der Region ist Hans Brasch kein Unbekannter. Schon zu Lebzeiten suchte er die Nähe zur Natur des südlichen Hochschwarzwaldes, lebte von 1920 bis in die späten 30er Jahre in seinem Haus bei Urberg. In jüngster Zeit erinnerten zwei Ausstellungen in der Umgebung an den Maler: 2017 zeigte das Kreismuseum St. Blasien eine Einzelausstellung mit frühen Arbeiten, 2018 rückte die Ausstellung über August Babberger und die Künstlersiedlung „Höll“ hier im Haus den Namen Hans Brasch in den Kontext dieser lebensreformerischen Künstlergemeinschaft.
In größere kunstgeschichtliche Zusammenhänge ordnete 2016 die umfangreiche Ausstellung „Kommen und Gehen, Von Courbet bis Kirkeby“ im Museum Giersch in Frankfurt Braschs Schaffen in die Entwicklungen der Moderne im Rhein-Main-Gebiet ein (in dieser großen Schau war auch Hans Thoma vertreten). Einige wenige Werke von Hans Brasch sind heute in Museen wie dem Städel in Frankfurt, der Karlsruher Kunsthalle und der Kunsthalle Mannheim vertreten. 2007 widmete sich eine (unveröffentlichte) kunstwissenschaftliche Magisterarbeit an der Freien Universität Berlin dem Leben und Werk des Künstlers. Ansonsten aber ist über Brasch in der allgemeinen Literatur wenig zu erfahren und er gehört noch immer und – wie ich meine – zu Unrecht zu den fast vergessenen Malern der frühen Moderne im deutschen Südwesten.
Blicken wir in die Ausstellung, so begegnet uns ein Künstler, für den die Beschäftigung mit Mensch und Natur im Mittelpunkt steht. Porträts und Landschaftsdarstellungen bestimmen die thematische Ausrichtung seiner Bildschöpfungen. Die Anfänge von der Karlsruher Studienzeit bis zum Ersten Weltkrieg stehen ganz im Zeichen seiner Ausbildung bei Hans Thoma und der Einflüsse von Ferdinand Hodler. In sorgsam ausgeführten Radierungen wie etwa dem Porträt seines Vaters von 1900 oder seinem Selbstbildnis von 1904, sowie in Zeichnungen und ersten Gemälden prägt eine dem Naturalismus und Realismus der Jahrhundertwende verpflichtete Bildsprache den traditionsverhafteten Ausdruck der Werke. Von Hodler, der in der Zeit um 1910 zu den einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten zählt und der für viele Maler der jungen Generation wichtige Impulse liefert, empfängt Brasch Anregungen zur flächigen Formvereinfachung und zur Intensivierung der Farben, was sich exemplarisch noch im Bildnis seines Sohnes Peter von 1920 zeigt.
Nach dem Krieg ist eine Neuorientierung zu beobachten: die Hinwendung zu einem freieren Ausdruck mit leuchtenden Farbkontrasten, dynamisch rhythmisierten Formen und einem energischen Pinselduktus, kennzeichnet die Loslösung vom Einflussbereichs Thomas und den weiteren Verlauf von Braschs Stilentwicklung.
In seinen Bildnissen und Landschaften reift er nun zu einem zeittypischen Vertreter des Spätexpressionismus der Nachkriegsjahre in einer insgesamt abgemilderten Ausprägung. Das Eruptive, Heftige, Zerrissene des klassischen Expressionismus, wie wir es etwa von den Künstlern der „Brücke“ kennen, ist nicht seine Sache – Brasch pflegt stattdessen eine vergleichsweise harmonisch gestimmte Sichtweise auf die Dinge mit fließenden Formabwandlungen, klaren Farben, fest umrissenen Konturen.
Und doch spricht aus Selbstbildnissen, wie etwa dem Aquarell von 1927 (=Einladungskarte) eine Tendenz zur expressiven Psychologisierung, zu einem Blick in die Seele, was generell Braschs Porträtschilderungen der 20er Jahre prägt: durch Haltung, Gestik, Farbgebung und Formensprache betont Brasch den emotionalen Ausdruck der Personen, bei denen es sich um Freunde und Bekannte sowie um Auftragsarbeiten aus der Frankfurter Gesellschaft handelt.
Das zweite große Aufgabenfeld, das - neben Aufträgen für Wandbilder - immer mehr sein Schaffen bestimmen soll, sind die Landschaften, die Brasch im Südschwarzwald, in den Alpen, am Bodensee, in Südtirol und im Tessin einfängt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Eigenheiten der jeweiligen Naturgegenden prägt den besonderen Ausdruck seiner Landschaftsbilder. Und so atmen die Werke eine Betonung des Atmosphärischen, der stimmungsvollen Wirkungen von Licht und Luft, von Wetter, Wind und Wolken auf das Erscheinungsbild der Natur. Fasziniert zeigt sich Brasch von ursprünglichen, rauen und einsamen Landschaften, in denen die Kräfte der Natur, das Elementare spürbar werden. Für die gesteigerte Umsetzung nutzt er nun vermehrt die Ausdrucksmittel der Aquarellmalerei, die spätestens ab 1930 sein Schaffen kennzeichnet.
„Die herbe, starke und große Natur dieser Gegend, die ich nun in der folgenden Zeit immer wieder malerisch verarbeitete, war von entscheidendem Einfluss auf meine ganze weitere Entwicklung. Der Versuch, die ganze Reichheit der Stimmungen und der Atmosphäre wiederzugeben, führte mich zur Aquarellmalerei, da diese hierfür die größeren Möglichkeiten bietet.“ Mit diesen Worten erklärt Brasch seine Begeisterung für den Hochschwarzwald und zugleich seine Vorliebe für das Aquarell.
Denn mehr als in der schweren und pastosen Ölmalerei auf Leinwand findet Brasch in der leichtgängigen Malerei mit wassergelösten Farben auf Papier die ideale Entsprechung für sein intensives Naturgefühl.
Im Laufe der Jahre entwickelt Brasch einen souveränen Umgang mit Pinsel und Wasserfarben in verschiedenen Techniken auf unterschiedlichen Papieren, häufig auf filigranes Japanpapier. Virtuos experimentiert er mit der sog. Nass-in-Nass-Technik mit raschen Pinselzügen auf angefeuchtetes Papier, wodurch diffuse, nuancenreich ineinandergreifende Farbverläufe bei gleichzeitig transparenten Tiefenschichten des Bildraums entstehen. Oder er agiert mit eher trockenem Farbauftrag in klaren, festen Flächenzonen, wobei gerne freigelassene Stellen des Papiers als helle Partien mitwirken. In großer Fülle und Vielfalt spielt Brasch die mannigfachen Möglichkeiten des Aquarells bis ins hohe Alter in immer neuen Bildvarianten durch. Auch wenn viele Blätter wie zufällige Momentaufnahmen wirken, sind sie doch das Ergebnis eines wohlüberlegten Bildaufbaus und einer bewussten Regie von Blickpunkt und Bildausschnitt.
Schauen wir auf die Bernauer Region, so zeigt sich, daß vor allem im Zirkel der Künstlersiedlung „Höll“, im gemeinsamen Leben und künstlerischen Arbeiten in und mit der Natur Braschs ganzheitliche Geisteshaltung und sein leidenschaftliches Lebensgefühl reiche Nahrung fanden. In zahlreichen Arbeiten erkundet er die einzigartigen Wirkungen dieser Landschaft mit ihren engen Talwinkeln und dunklen Wäldern, ihren weiten Wiesenflächen und fernen Ausblicken vom Dachsberg auf die Alpen, ihrem besonderen Licht, ihrer klaren Luft, ihren raschen Wetterwechseln.
In den Bergen in Österreich, in der Zentralschweiz und in den Dolomiten betonen seine Darstellungen die Erhabenheit und Monumentalität der alpinen Natur. Aus den Aquarellen spricht eine starke Faszination für die gewaltigen Urkräfte, die dieser Natur innewohnen, und die Brasch für den Betrachter unmittelbar erlebbar machen will. Stille und Weite, Ruhe und Kontemplation, hingegen sind in den Seelandschaften akzentuiert: mit der gezielten Steigerung des Lichts im Wechselspiel mit Wasserspiegelungen und Wolkenhimmeln erscheinen Eindrücke vom Bodensee, vom Thuner See oder vom Lago Maggiore.
Anklänge an anthroposophisches Gedankengut sind in den Landschaften spürbar, die von einer außerordentlichen, fast übernatürlichen Lichtaura erfüllt sind, wie beispielsweise das undatierte Aquarell „Lago Maggiore“. Nach den Vorstellungen der Anthroposophie sollen in der Natur verborgene schöpferische Kräfte sichtbar gemacht werden. Das Sinnliche soll sich mit dem Übersinnlichen verbinden und Bilder wollen das Geistige, Spirituelle und Mystische transportieren. Nicht wenige von Braschs Landschaftsdarstellungen können als persönliche Interpretation dieser Gedankenwelt verstanden werden.
In den Naturschilderungen der späten Werkphase der 40er bis 60er Jahre schwächt sich das expressionistische Formen- und Farbrepertoire merklich ab und gibt einer realitätsnahen Motivauffassung Raum, die auf den Ausdruck des Großartigen in der Welt der Berge und Seen abzielt. Sorgfältig komponierte und präzise ausgeführte Aquarelle wie „Hochgebirge“ von 1941, „Berglandschaft mit Schnee“ von 1955 oder „Gewitterwolken“ von 1966 (das späteste Bilder der Ausstellung!) erkunden die Eigengesetzlichkeiten der schroffen Natur, ihre Topographie, Geologie und Tektonik, und erzählen zugleich von ihrer Schönheit und Zeitlosigkeit. Mit sicherem Gespür wählt Brasch seine Bildausschnitte, oft wie durch ein Fernglas oder Teleobjektiv gesehen, und rückt das hochalpine Naturgeschehen im Wechsel der Jahres- und Tageszeiten mit seiner ganzen Dramatik und Vielfalt ins Blickfeld.
Das Werk von Hans Brasch entfaltet sich im weiten Spannungsfeld zwischen Einfühlung und Expression. Sensible Porträts, kraftvolle Figurenbilder und ebenso stimmungsvolle wie ausdrucksgeladene Landschaften zwischen Formauflösung und Formverdichtung prägen das Spektrum seines künstlerischen Schaffens. Es ist vor allem die Farbe, die für Brasch zum wichtigsten Ausdrucksträger avanciert. Mit viel Gefühl und großer Leidenschaft lotet er in seinen Bildschöpfungen die Möglichkeiten der Farbmodulationen aus und findet dafür in der Technik des Aquarells eine ideale Entsprechung.
Auffällig ist beim Blick auf das Gesamtwerk die Ausblendung von politischen oder gesellschaftskritischen Themen, die gerade in der Zwischenkriegszeit viele Kunstschaffende seiner Generation bewegten. Für Hans Brasch galt die Einfühlung in die Natur als wichtigster und entscheidender Impuls für seine Kunst.
In seinen Aquarellen findet Brasch zu einer Meisterschaft, in der sich Farbe, Licht und Raum durchdringen. Die Blätter changieren zwischen kraftvoller Expressivität und sensibler Innerlichkeit. Am stärksten in den Landschaften gelingt Brasch das Einfangen von atmosphärischen Zuständen, von Nebel, Dunst, Sonnenstrahlen, warmer oder eisiger Luft, Wasserreflexen, Wolkenschleiern. Deutlich wird die sinnliche Intensität, mit der Brasch die Natur erlebte und für den Betrachter erfahrbar macht.
Leben und Werk von Hans Brasch sind ein eigenes, fast vergessenes Kapitel südwestdeutscher Kunstgeschichte zwischen Tradition und Moderne. Die Ausstellung bietet die Gelegenheit zur Wiederentdeckung!
© Dr. Andreas Gabelmann

Rektor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
Kunststaatssekretär Arne Braun: „Marcel van Eeden ist ein Aus-nahmekünstler von internationaler Strahlkraft“
Preisverleihung mit Ausstellungseröffnung am 13. August 2023 in der Hans-Thoma-Stadt Bernau im Schwarzwald
Der mit 25.000 Euro dotierte Hans-Thoma-Preis 2023 des Landes Baden-Würt-temberg geht an den international renommierten Zeichner Marcel van Eeden (56). Der Rektor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe erhält den Staatspreis des Landes für Bildende Kunst am 13. August 2023 in der Hans-Thoma-Stadt Bernau im Schwarzwald. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe orga-nisiert zum Anlass der Preisverleihung im Auftrag des Ministeriums für Wissen-schaft, Forschung und Kunst eine Ausstellung mit Werken des Künstlers im Hans-Thoma-Kunstmuseum in Bernau.
Kunststaatssekretär Arne Braun sagte: „Erstmals hat die Jury den Begriff der ‚Landeskinder‘ erweitert und den Hans-Thoma-Preis einem niederländischen Künstler zuerkannt, der sich im besten Sinne grenzüberschreitend für die zeitge-nössische Kunst und den künstlerischen Nachwuchs in Baden-Württemberg ein-setzt. Ich freue mich sehr, unseren wichtigsten Preis für Bildende Kunst diesem Ausnahmekünstler mit internationaler Strahlkraft verleihen zu können.“
Die Ausstellung wird "1898" heißen in Anlehnung an die Reise von Hans Thoma im Jahre 1898 nach Holland. Es werden hierzu extra Werke entstehen.

Gedenkausstellung im Hans-Thoma-Kunstmuseum
Von Jürgen Glocker
Es war Hans Thoma, der die Landschaften, Häuser und Interieurs des Schwarzwalds bildwürdig machte. Zwar blieb er nicht beim Schwarzwald stehen, sondern erschloss sich im Lauf seines langen Lebens eine vielseitige Bildwelt, zu der beispielsweise, neben italienischen Landschaften, Portraits und Stillleben, auch zahlreiche christliche und mythologische Motive zählen. Aber stilbildend war für ihn die Landschaft seiner Kindheit und Jugend, war der Schwarzwald und seine realistische, alles andere als biedere Ästhetik, mit der er gegen die Kunstauffassung der zeitgenössischen Salonmalerei anrannte. Die Maler, die sich später auf den Spuren Hans Thomas der Schwarzwaldmalerei widmeten, konnten sich gewissermaßen auf gut gebahnten Wegen bewegen. Denn der Schwarzwald stand im Zeitalter der Verstädterung und der zunehmenden Industrialisierung als eine Sehnsuchtslandschaft hoch im Kurs. Zu diesen Künstlern zählte, neben Gustav Schönlebers Meisterschülern Karl Biese und Hermann Dischler sowie Julius Heffner, auch Karl Hauptmann. Aus Anlass von Hauptmanns 75. Todestag zeigt das Hans-Thoma-Kunstmuseum in der kleinen, feinen Hauptmann-Abteilung eine erweiterte Gedenkausstellung mit zusätzlichen Bildern, die vom 7. April bis zum 13. November 2022 zu sehen ist.
Ein Schwarzwald-Liebhaber
Hauptmann wurde am 24. April 1880 in Freiburg geboren. Nach seiner Zeit als Soldat im 1. Weltkrieg zog er sich in den Schwarzwald zurück, wo er bereits im Jahr 1913 das am Abhang des Herzogenhorns gelegene „Molerhüsli“ erworben hatte. Es war ihm Wohnhaus und Atelier in einem. Und es wurde im Lauf der Zeit auch zu einem Treffpunkt. Und das galt ganz sicher nicht nur an den Wintersonntagen für die Bergretter aus Todtnau, die bei Karl Hauptmann ihre Sanitätsstelle aufschlugen. Hauptmann beschäftigte sich nicht nur beruflich mit der Landschaft des Schwarzwalds, er lebte mitten in der Natur. Sie war, wie die Kunst, sein Leben. Man muss wohl davon ausgehen, dass eine solche künstlerische Existenzweise in der modernen Welt längst ausgestorben ist. Nach Hauptmanns Tod am 7. April 1947 transportierte ihn die von ihm selbst gegründete Bergwacht auf einem Hornschlitten zu Tale nach Todtnau-Gschwend, wo heute ein Findling am Eingang des Friedhofs an ihn erinnert.
Nahezu dreißig Jahre lang bildete der Schwarzwald Karl Hauptmanns Lebensrahmen und Lebensmittelpunkt. Er malte seine Landschaften, seine Berge, Täler und Höfe zu allen Jahreszeiten und unter den unterschiedlichsten Lichtbedingungen. Ganz egal aber, welches Motiv, welchen Bildausschnitt und welches Licht er wählte, immer sieht man seinen Gemälden an, die nicht zuletzt von Touristen erworben wurden, dass er „seinen“ Schwarzwald liebte und dass er liebend gern in ihm lebte. Ja, er war ein Liebender, er idealisierte den Hochschwarzwald nach allen Regeln der Kunst und bewahrte ihn für sich und für uns als eine nahezu heile Welt. Nach den Gräueln des Weltkriegs waren insbesondere die stillen Winterlandschaften für Hauptmann von besonderer Bedeutung.
Das Hans-Thoma-Kunstmuseum
Auf zwei Etagen präsentiert sich das Hans-Thoma-Kunstmuseum im Gebäude des Rathauses in Bernau, Ortsteil Innerlehen (im 2. und 3. Stockwerk). Immer zu sehen sind auf der 1. Etage des Museums die Dauerausstellung mit Werken von Hans Thoma und die kleine Ausstellung des Feldberg-Malers Karl Hauptmann. Die Preisträger oder Sonderausstellungen finden Sie auf der 2. Etage des Museums, die auch wegen ihrer schönen lichten Holzarchitektur eine Augenweide ist.
Folgende Ausstellungen sind ständig zu sehen:
- Eine Werkschau von Hans Thoma (1839-1924), die gut 50 Arbeiten aus rund 50 Jahren umfasst.
- 13 Gemälde des Schwarzwälder Landschaftsmalers Karl Hauptmann (1880-1947)
- Mehr als 50 Gemälde, Fotografien und Plastiken der bisherigen Preisträger des Hans-Thoma-Kunstpreises sowie des Naturenergie-Förderpreises (Hinweis: Für manche Sonderausstellungen wandern die Preisträger in das Museumsarchiv.)
Sonderausstellungen:
Vier Mal im Jahr zeigt das Museum Sonderausstellungen. Das können Werkschauen einzelner Künstler oder thematische Ausstellungen sein. Eine der Sonderausstellungen ist jedes Jahr von August bis September entweder dem Preisträger des Hans-Thoma-Kunstpreises oder des Naturenergie-Förderpreises gewidmet.

Hans Thoma
Ein Streifzug durch die Bilderwelten von Hans Thoma: Mehr als 50 Gemälde und Grafiken präsentiert das Museum.